Auschwitzfahrt 2018

Vom 25. bis zum 30. September 2018 fuhren wir nach Auschwitz (heute polnisch Oswiecim). Per Bewerbungsschreiben hatten wir uns für die Fahrt angemeldet.

Durch unsere Vorbereitung waren wir schon etwas vertraut mit der Thematik und mit dem, was uns erwarten würde. In der Projektwoche vor den Sommerferien hatten wir dafür drei Tage Zeit. Unter anderem schauten wir Filme zur Gedenkstätte und tauschten unsere Erwartungen zur Fahrt aus. Was verbindet man generell mit der NS-Zeit? Am zweiten Tag gingen wir auf die Suche nach Stolpersteinen in Lübeck, welche an Juden erinnern soll, die in der Stadt wohnten und von dort aus entweder deportiert wurden oder in Einzelfällen flüchten konnten. Außerdem bekamen wir eine Führung in Neustadt zur Cap-Arcona, bei der über den Untergang dieses Schiffes informiert und an die toten Häftlinge erinnert wurde. Einige von uns schauten sich den Film „Schindlers Liste“ außerhalb der Schulzeit an.

So kam es, dass wir am Dienstag, dem 25.09 um 20:30 Uhr von der Schule losfuhren. Roland Vossebrecker begleitete uns während der gesamten Fahrt als unser Guide. Er  hatte ein sehr umfangreiches Programm für uns vorbereitet.

Am Mittwochmorgen kamen wir nach einer anstrengenden Nachtfahrt in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte (IJBS) an. Diese liegt in Oswieciem und war bis Freitag unser Zuhause bei dieser nicht ganz einfachen Fahrt. Nach einer weiteren Einführung (diesmal von Roland) und einigen Erläuterungen zur Unterkunft, machten wir uns auf den Weg ins Stammlager Auschwitz.

Wir bekamen eine umfangreiche Führung durch das von Besuchern überfüllte Stammlager von einem polnischen Guide, der sehr sachlich den Aufbau des Lagers erklärte. Das Stammlager war ein ehemaliges Kasernengelände der polnischen Armee. Die Situation hunderter Häftlinge, die in den ehemaligen Kasernengebäuden ohne sanitäre Einrichtungen oder überhaupt jegliche Wasserversorgung untergebracht waren, verschlimmerte sich zunehmend. Die vorhandenen Gebäude wurden umgebaut und neue sollten errichtet werden. Die Verhältnisse im Lager, die ohnehin furchtbar für alle Insassen waren, verschlimmerten sich zunehmend dadurch, dass ständig neue Häftlinge hinzu kamen.

Wir sahen außerdem Häftlingsunterkünfte, Arrestzellen und den Appellplatz. Vor allem ging es aber um die Lebensbedingungen der Häftlinge im Lager. Besonders berührte die meisten von uns die Ausstellung von Gegenständen, wie zum Beispiel von Schuhen, Brillen und Koffern der Häftlinge und deren Haare. Die hier ausgestellten Gegenstände machten die barbarische Situation von damals auf sehr emotionale Weise deutlich.

Wirklich viel Zeit hatte man nicht, das Lager auf sich wirken zu lassen. So auch nicht beim Krematorium, durch das man schnell hindurch ging. Was sehr vielen gut gefallen hat, war eine neue Ausstellung im Lager. Diese ermöglichte einen neuen Blickwinkel des Gedenkens, weil sie den unvorstellbar vielen Toten von damals gleichsam ein Gesicht gibt. Filme von lachenden Kindern, Familien und auch Kinderzeichnungen hinterließen einen bleibenden Eindruck. Außerdem ein „Buch“ mit den Namen der Opfer, wobei immer noch so viele fehlen, die wahrscheinlich gar nicht mehr zu benennen sind.

Erschütternd war während der ganzen Führung die schiere Masse an Besuchern und zum Teil auch die Respektlosigkeit einiger Besucher gegenüber der Würde der Gedenkstätte. Nicht selten sah man beschmierte Wände und Menschen, die ein Urlaubsfoto vor der Kulisse des Krematoriums machten. Unsere Gedanken versuchten wir abends in der Reflexionsrunde zum Ausdruck zu bringen.

Am Donnerstag bekamen wir von Roland eine Führung zum KZ Monowitz, dem Konzentrationslager der IG Farben. Sehr schwierig hierbei war, dass fast nichts mehr von dem Lager übrig ist. Roland versorgte uns mit ausreichend Bildmaterial, was uns in dieser Hinsicht sehr half. Außerdem sprachen wir über das Täterleben in Auschwitz. Wo und wie lebten eigentlich die Täter und Täterinnen und unter welchen Lebensbedingungen? Aber auch der Stand in der Gesellschaft und das Ansehen der Außenwelt war ein Thema.

Gegen Mittag machten wir uns dann zur „Alten Judenrampe“ auf, um uns über die Reichsbahn, Selektionen und die Ärzte in Auschwitz zu informieren, aber auch um zu Gedenken. Nach einer furchtbaren Fahrt, zusammen gequetscht mit anderen Menschen und der Hitze oder Kälte ausgesetzt kamen die Menschen hier an und es entschied sich zum ersten Mal durch ein Handzeichen, wer leben darf und wer nicht. Für dieses Handzeichen waren die Ärzte zuständig. Das Ganze wurde Selektion genannt. Beklommen standen wir vor der Frage, was wohl besser gewesen wäre. Unter unwürdigsten Umständen lebend im Lager, oder die rasche Beendigung des Schreckens durch den Tod in der Gaskammer? Wie so viele Orte, die wir besuchten, war auch dies ein Ort des Gedenkens und des Respekts.

Es folgte eine Führung durch das Vernichtungslager Birkenau. Besonders erschütternd war der Blick in die Baracken, wo Pritsche an Pritsche stand. Es war leider klar, dass der Zustand der Baracken im Inneren damals furchtbar gewesen sein muss und man sich nicht nur einen Menschen pro Schlafplatz vorstellen kann. Noch viel schlimmer fanden wir aber die Kinderbaracke. Nach einer solchen Führung war nicht mehr sehr vielen zum Reden zu Mute. Trotzdem diskutierten wir abends über die Täter und Täterinnen von Auschwitz. Was hat sie dazu bewogen, solch unvorstellbare Taten zu begehen? Wie wird ein Mensch zu einem solchen Monster? War das Ganze eine teuflische Entwicklung? Auch die Frage „wäre ich damals ein Täter gewesen?“ wurde umfangreich diskutiert. Die Diskussionsrunde schien dabei kein Ende zu nehmen.

Am Freitag hatten wir die Wahl: Entweder nahmen wir an dem Workshop „SS- Täter und SS-Täterinnen im KL Auschwitz“ teil oder besuchten die Ausstellung „Bilder im Kopf“ von von M. Kolodzieja.

In diesem Workshop wurden uns als Arbeitsaufgabe Täterinnen oder Täter zugewiesen, die wir an Hand uns überlassener Informationen beschreiben sollten. Der Workshop war etwas kurz für die Thematik, aber trotzdem schafften wir es alle unseren Täter oder unsere Täterin vorzustellen. Die Ausstellung war sehr eindrucksvoll und berührend. Kunst kann man schwer in Worte fassen, aber wenn jemand Erlebnisse über die Kunst verarbeitet, dann wird es um so eindrucksvoller, wenn auch bisweilen sehr traurig.

Danach gingen wir erneut nach Auschwitz-Birkenau. Diesmal ging es aber ausschließlich um die Vernichtung der Lagerinsassen. Roland informierte uns über das rote und das weiße Haus und über den Lagerteil Kanada.

Das Sonderkommando, ein Kommando aus ausgesuchten Häftlingen, die für die Ermordung in den Gaskammern zuständig waren, begleitete die Erzählungen von Roland stetig. Dafür bekamen diese Häftlinge Privilegien und mussten beispielsweise keinen Hunger leiden. Erzählungen Überlebender besagen, dass sie als “die lebendigen Toten” des Lagers galten. Das Kommando wurde der Vertuschung wegen immer wieder ausgetauscht.

Was wir alle bedenken mussten war allerdings, dass wir uns bei dieser Führung auf einem Friedhof befanden. Einem Friedhof von Menschen, von denen einige nicht einmal identifiziert wurden und auf einem Friedhof, wo kein Toter einen würdevollen Tod sterben durfte und wo kein Mensch seine eigene Grabstätte hat. Folglich können die Grabstätten der Menschen auch nicht einzeln aufgesucht werden. Diese Führung, die man so bestimmt nicht als „normaler Tourist“ bekommt, schlossen wir mit einem gemeinsamen Gedenken ab.

Aber was hat das alles mit mir zu tun? Darauf gingen wir in einer Diskussionsrunde ein. Nach dieser Runde über Verantwortung und Selbstkritik machten wir uns auf den Weg nach Krakau und genossen nach dem Einchecken in einem Hostel den restlichen Abend in einer Pizzeria.

Freitag kam nun das Zeitzeugengespräch auf uns zu. Frau Lidia Maksymowicz ist keine Jüdin, sondern kommt aus Russland aus einer Partisanenfamilie. Das war der Grund, warum sie zwar verschleppt, aber nicht direkt in die Gaskammern geführt wurde. Ihre Erzählungen waren sehr berührend und gaben einen Einblick in eine Geschichte von so wahnsinnig vielen Schicksalen. Wir bekamen am Freitag außerdem eine weitere Führung von Roland im ehemaligen Konzentrationslager Plaszow und besuchten die ehemalige Schindler Fabrik. Es war immer wieder erstaunlich, wie wenig Zeit man doch für die Menge an Informationen über ein Thema hatte.

Mit jüdischem Essen und Musik schlossen wir die Fahrt im Klezmer Hois ab.

Die Herausforderung für uns Schüler war es in dieser Zeit alles auf sich wirken zu lassen und nicht wegzusehen. Das Ganze ist in den fünf Tagen wahnsinnig viel auf einmal und man verarbeitet nicht alles sofort. Richtig verarbeitet haben wir erst im Nachhinein. Kein Geschichtsbuch vermag es, einen solchen Eindruck zu hinterlassen. Aber was lernten wir eigentlich aus der Fahrt? Wir lernten eine Art der Selbstreflexion. Wir tragen keine Verantwortung dafür, was passiert ist. Wir tragen die Verantwortung dafür, was passieren wird. Eines ist man den Opfern des Holocaust nämlich schuldig, ob verantwortlich oder nicht: Wir sind es ihnen schuldig, nicht zu Täter und Täterinnen zu werden und all unsere Handlungen zu hinterfragen. Selbstkritisch zu denken und selbstkritisch zu handeln.

Immer wieder wird gesagt, das Auschwitz eine Lebenserfahrung ist. Das entspricht auf jeden Fall der Wahrheit, wobei man nur aus Auschwitz lernt, wenn man das was dort passiert ist auch schon in kleinsten Teilen unserer Gesellschaft zu erkennen weiß. Wer nichts tut, kann eben auch schon Täter oder Täterin sein. Zu dieser Erkenntnis kommt man nur, wenn man Auschwitz verstehen lernt, was uns durch Herrn Knebel, Frau Düppe und unseren Guide Roland Vossebrecker definitiv gelungen ist.

Auschwitz selbst muss man aber mit sich allein im Stillen ausmachen. Das zeigen eben auch die Wochen danach. Wir empfehlen allen, nutzt die Chance diese Fahrt mitzumachen und traut euch die Bewerbung zu schreiben. Auch wenn es nicht einfach wird, habt ihr genügend Unterstützung auf der Fahrt, um Auschwitz zu begegnen. So einen Einblick bekommt man als „normaler Tourist“ nicht und es lohnt sich.

Autorin: Luise v. Esebeck